Er kann nichts sehen. Alles um ihn herum ist weiss, bis er merkt, dass es Schnee ist. Überall. Rudolph schnaubt; sie werden hin und her gewirbelt. Und plötzlich stürzen sie in die Tiefe, und mit ihnen der Schlitten voller Weihnachtspakete. Am Himmel prangt die Zahl 24 …
Mit einem Ruck fährt der Weihnachtsmann in seinem Wolken-Schlafsack hoch. Er ist schweissgebadet. Ein Alptraum. Es ist noch nicht Heiligabend. Gottseidank. Erleichtert guckt er auf seinen Wecker - es ist 7 Uhr. Ein Blick in seinen Kalender verrät ihm, dass um 10 Uhr sein Antrittsbesuch im neuen Verteilzentrum ansteht. Schnell macht er sich auf in den Stall, wo Rudolph das Rentier schon ungeduldig wartet. Geschwind fliegen sie über die weissen Wolken hinweg ins Wichtelgebirge, wo vor kurzem das neue Verteilzentrum für Nord-Nord-West-Europa eröffnet wurde. Angekommen an der Pforte, klingelt der Weihnachtsmann. Der Wach-Wichtel ist etwas überrascht und ruft sogleich Wichtel Pfiffikus herbei, damit er ihn herumführt.
Als der Weihnachtsmann die Geschenkverpackungshalle sieht, ist er ziemlich entsetzt über das Tohuwabohu. In den Ecken schwirren die neuen Aushilfselfen – erkennbar an den orangenen Schleifchen im Haar – und tuscheln miteinander. Niemand scheint sich um sie zu kümmern. Überall stehen noch leere Kartons herum und Reste von Geschenkpapier liegen am Boden. An den Fliessbändern sitzen Verpackungswichtel. Aber oft stehen sie auf, um eine passende Schere zu suchen. Geht eine Rolle Band zu Ende, gehen sie selbst in die Nachschubkammer und holen eine Neue. Der Weihnachtsmann schaut dem Treiben eine Weile regungslos zu. Als er sich von Pfiffikus verabschiedet, wirkt er etwas geistesabwesend. Auf der Fahrt zurück, spricht er kein einziges Mal mit Rudolph, was so gar nicht seine Art ist.
Der Weihnachtsmann muss nachdenken und zieht sich das ganze Wochenende zurück in sein Iglu. Ihm fällt ein, dass ihm der Bibliotheks-Wichtel letztens ein Buch mit ausdrücklicher Leseempfehlung gegeben hat. Das holt er nun hervor und beginnt sogleich zu lesen. Er ist so vertieft in das Buch, dass er nicht einmal bei einem Ping auf sein Handy guckt, um ankommende Textnachrichten zu lesen.
Am Montagmorgen verschläft er beinahe und eilt zum täglichen Meeting, das sie seit kurzem sogar im Stehen abhalten. Der Schlaumeier-Wichtel hatte nach seinem Japan-Trip von den positiven Erfahrungen damit berichtet. Der Weihnachtsmann schildert die Zustände im neuen Verteilzentrum und unterbreitet die Anregungen, die er aus seiner Wochenend-Lektüre gewonnen hat.
Er blickt aufmerksam in die Runde: „Hat jemand noch eine Idee, wie man die Situation in den Griff bekommen kann?“ Wichtel Severin meldet sich: „Ich kenne das Buch aus meiner Zeit als Praktikant beim Bibliotheks-Wichtel. Da kommen so viele japanische Namen vor, die so eigenartig klingen, aber wenn man sich länger damit beschäftigt, macht das alles Sinn. Ich würde gerne mithelfen, das Verteilzentrum in Ordnung zu bringen. Ausserdem ist der Wichtel Pfiffikus dort mein Cousin, der ist sicher offen für diese neuen Ideen.“ „Sehr gut. Du kommst auf jeden Fall mit. Trixi, Jordi und Gilfi – euch möchte ich auch dabeihaben. Sagt bitte im Stall Bescheid, dass neben Rudolph auch noch Dasher, Donner und Vixen für die Fahrt ins Wichtelgebirge bereitstehen.“
Nach dem Meeting passt ihn der Bastel-Wichtel Klebefix ab, nimmt ihn kurz zur Seite und bittet um ein Gespräch unter vier Augen. Sie ziehen sich kurz in die Schnee-Lounge zurück.
„Herr Weihnachtsmann. Ich habe von der Telefonistin Ursula erfahren, dass eine Depesche zu uns auf dem Weg ist. Es gab Beschwerden wegen der Schachteln mit den neun Christbaumkugeln. Da fehlt öfter die goldene, verzierte Kugel, die eigentlich immer in der Mitte sein sollte“, berichtet Klebefix.
Der Weihnachtsmann überlegt einen Moment. „Lass uns gleich zusammen in die Christbaumschmuck-Abteilung gehen und direkt nachfragen, wie es dazu kommt.“
Zusammen machen sich der Weihnachtsmann und Klebefix auf den Weg zu Iglu Nr. 19 ganz am Rande der Weihnachtszentrale. Hier schauen sie einer Weile den Schmuck-Wichteln beim Verpacken zu. Dann drücken sie auf einen Knopf, um das Fliessband zu stoppen und sprechen Alphonse an.
„Alphonse, wir haben gehört, dass manchmal die goldene Kugel in der Packung fehlt. Kannst du dir erklären, wie das kommt?“ Alphonse druckst ein wenig herum und reibt sich den Rücken. „Nun ja. Ähm. Also es ist so. Sie sehen ja, dass hinter mir die Körbe mit den roten, blauen und grünen Kugeln stehen. Dahinter in zweiter Reihe steht der Korb mit den goldenen Kugeln. Der Korb ist sehr tief. Wenn die Kugeln fast leer sind, dauert es recht lange, bis ich mich bücke, hineingreife und von unten eine heraushole. Und wissen Sie, das Fliessband; wenn die Schachtel schon so langsam weiterrollt, dann greife ich öfter mal eine rote Kugel, damit auf keinen Fall eine fehlt. Das liegt auch an meinem Ischias. Das Bücken fällt mir etwas schwer, wissen Sie.“
„So so“, sagt der Weihnachtsmann. „Hätten Sie denn eine Idee, wie es einfacher wäre, damit Sie die Kugeln greifen könnten?“ Alphonse überlegt einen Moment und sagt: „Nun ja, es wäre eine feine Sache, wenn die Kugeln vor mir auf Greifhöhe wären, damit ich sie besser erreichen kann.“
Der Bastel-Wichtel und der Weihnachtsmann schauen sich bedächtig an. Dann klatscht der Weihnachtsmann in die Hände, lässt zwei Hilfswichtel kommen und die Elfe Zweivonelf, die über einen besonderen Ordnungssinn verfügt. „So meine Herren, meine Dame. Alphonse hat eine gute Idee. Ich möchte gerne, dass ihr zu viert nach einer Lösung sucht, wie man den Packplatz umgestaltet, damit es Alphonse und den anderen Schmuckwichteln leichter fällt, an die Kugeln zu kommen. Ich bin morgen im Wichtelgebirge unterwegs. Übermorgen werden wir uns ansehen, was ihr euch ausgedacht habt.“
Den ganzen Tag verbringen die Wichtel, Elfen und der Weihnachtsmann im Wichtelgebirge. Gemeinsam haben sie gründlich aussortiert und alle alten Verpackungsmaterialien, die nicht mehr benötigt werden, entsorgt. Die ganze Geschenkverpackungshalle für Nord-Nord-West-Europa ist nun blitzblank sauber. Nichts liegt mehr auf dem Boden herum, sodass jemand stolpern oder ausrutschen und sich wehtun könnte. In regelmässigen Abständen haben sie Abfalleimer angebracht mit einer Markierung am Boden. So fällt gleich auf, falls ein Eimer fehlen sollte.
Ausserdem haben sie angefangen, die Arbeitsplätze neu zu arrangieren. Alles, was die Wichtel zum Verpacken der Geschenke benötigen, ist nun ordentlich an festen Plätzen angebracht: Scheren in verschiedenen Grössen liegen griffbereit. Die Rollen mit unterschiedlich farbigen Bändern sind in Augenhöhe angebracht. Wichtel Severin hat Fotos vom Arbeitsplatz gemacht und aufgehängt, sodass jeder Wichtel und jede Elfe sofort erkennen kann, wenn etwas nicht in Ordnung ist.
Am Abend kommen sie erschöpft zusammen und lassen den Tag bei einer Tasse heisser Schokolade Revue passieren. Zufrieden blicken sie darauf, wie sie zwei neue Prinzipien, die sie erst vor Kurzem aus der Lektüre des Weihnachtsmannes kennengelernt haben, in die Tat umgesetzt haben. Der Weihnachtsmann blickt fragend in die Runde. „Nun, seid ihr zufrieden mit euren neuen Arbeitsplätzen? Wie gefällt es euch?“ Elfe Naseweis spricht als Erste: „Also ich find‘s prima. Die Wichtel brauchen nun nicht mehr aufzustehen und wir passen immer auf, dass genug Schleifen und Rollen mit Geschenkband da sind. Ich finde das ist eine super Arbeitsteilung“. Keck lässt sie sich auf der Schulter vom Wichtel Faulpelz nieder, der sie mit grossen Augen anguckt.
Plötzlich prustet Elf Jordi los: „Habt ihr mitbekommen, wie Trixi ‚Aua‘ schrie, als sie sich an einer Schere pikste. Der Pfiffikus und Severin haben dann gleich einen speziellen Kasten gebastelt, wo die Scheren nun geschlossen drin liegen, wenn sie nicht gebraucht werden.“
Der Weihnachtsmann nickt und sagt: „Das war wirklich eine gute Idee und schnell umgesetzt. Wir sind heute schon weit gekommen und haben die Basis gelegt für weitere Verbesserungen. Ich glaube, da gibt es auch ein spezielles Wort dafür … irgendwas mit Kai… Severin erinnere mich bitte, daran, das nachzulesen, wenn wir wieder zu Hause sind.“
Am nächsten Morgen besteigt die Mini-Taskforce zufrieden den Schlitten und die Rentiere bringen sie heil zurück in die Weihnachtszentrale in Lappland.
Wie vereinbart stellt am nächsten Tag das Team um Alphonse den neuen Arbeitsplatz zum Verpacken der Christbaumkugeln vor. Statt Körben mit Kugeln hinter den Wichteln wurden Regale mit Fächern in Schulterhöhe über dem Fliessband angebracht. Es gibt jeweils zwei Fächer mit goldenen, roten, grünen und blauen Kugeln. Die Fächer sind leicht schräg nach vorne hin angebracht, sodass immer dann, wenn eine Kugel entnommen wird, die nächste Kugel nachrutscht. Ist eine Reihe aufgebraucht, stellen die Mitternachtselfen sicher, dass am nächsten Morgen die leere Reihe wieder aufgefüllt ist. Das Christbaumkugellager konnte so aufgeräumt und verkleinert werden. Der Oberschmuckwichtel hat zudem veranlasst, dass immer ein Sicherheitsvorrat für zwei Tage vorhanden ist, falls der Lieferant einmal im Schnee stecken bleibt.
Als der Weihnachtsmann das alles sieht, nickt er anerkennend und strahlt. Er ist hocherfreut, wie Wichtel und Elfen zusammengearbeitet haben, und so eine tolle Lösung gefunden haben. Nach diesem Vorbild sollen nun alle Arbeitsplätze umgestaltet werden.
Ob all dieser Neuerungen und Aufregungen hat er sich eine kleine Auszeit verdient. Der Weihnachtsmann ist plötzlich sehr müde und sehnt sich nach seinem Wolken-Schlafsack. Bevor ihm endgültig die Augen zufallen, fällt ihm das Buch ein, das ihm in den vergangenen Tagen bei seinen Handlungen so gut den Weg gewiesen hat. Der Autor ist ein gewisser Taiichi Ohno*. Er nimmt sich vor, morgen weiter in dem Buch zu lesen, um noch mehr über die Erkenntnisse des Toyota Produktionssystem zu lernen. Zufrieden kuschelt er sich wieder in seinen Wolkenschlafsack. Kurz, bevor er einschläft, überlegt er, wohin er bloss vergangenes Jahr seinen samtroten Festmantel geräumt hat.
* Taiichi Ohno ist der Begründer des Toyota-Produktionssystems (TPS). Die Lektüre, die den Weihnachtsmann inspiriert hat, ist das 1978 erschienene Buch “Das Toyota Produktionssystem“.
Natürlich ist dieser Blog-Beitrag mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Die geschilderten Umstände sind aber durchaus real. Begegnen Ihnen in Ihrem beruflichen Alltag ähnliche Situationen? Unsere Experten der Toyota Lean Academy stehen Ihnen für eine Beratung gerne zur Verfügung. Weitere Informationen zu den Lean Prinzipien und dem Toyota Produktionssystem finden Sie zudem auf unserer Website.